Recruiting und Vertrieb - warum unser Job mehr ist als Verkaufen
Ein Spatz ist kein Pfau - und Recruiting ist nicht Vertrieb
„Recruiting ist doch eigentlich auch nur Vertrieb!“ – ein Satz, den man in Diskussionen über Personalgewinnung immer wieder hört. Zugegeben, auf den ersten Blick mag dieser Vergleich charmant wirken. Doch bei genauerem Hinsehen ist er so treffend, wie zu behaupten, ein Pfau sei eigentlich nur ein großer Spatz mit farbenfrohem Gefieder. Beide mögen Vögel sein, doch die Unterschiede sind unübersehbar – und genau so verhält es sich mit Recruiting und Vertrieb.
Während der Vertrieb darauf abzielt, Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen, geht es im Recruiting um weit mehr: um Lebensentscheidungen, um langfristige Bindungen und um die Verantwortung, Menschen und Unternehmen zusammenzubringen. Es ist eine Disziplin, die zwar von den Prinzipien des Vertriebs lernen kann, aber in ihrer Essenz eine ganz eigene Kunst ist.
Ethik und Verantwortung: Mehr als ein Geschäft
Im Recruiting stehen Menschen im Mittelpunkt – mit ihren individuellen Lebenswegen, Hoffnungen und Zielen. Anders als im Vertrieb, wo der Kunde für ein Produkt oder eine Dienstleistung bezahlt, ist es im Recruiting der Bewerber, der belohnt wird: mit einem Gehalt, Entwicklungsmöglichkeiten und einer beruflichen Perspektive. Dieser fundamentale Unterschied macht deutlich, dass Recruiting nicht einfach als Verkaufsprozess verstanden werden kann.
Ein Job ist keine Ware, die man zurückgeben kann, wenn sie nicht passt. Während ein T-Shirt, das zwickt, problemlos umgetauscht werden kann, hat ein Jobwechsel weitreichende Konsequenzen – für den Mitarbeitenden ebenso wie für das Unternehmen. Diese Verantwortung erfordert ein hohes Maß an Sorgfalt, Empathie und ethischem Handeln, das über die klassischen Prinzipien des Vertriebs hinausgeht.
Langfristigkeit statt Kurzfristigkeit
Ein weiterer zentraler Unterschied liegt in der Zielsetzung. Während der Vertrieb oft auf kurzfristige Abschlüsse ausgerichtet ist, zielt Recruiting auf langfristige Bindung ab. Es geht darum, die richtigen Talente zu finden, die nicht nur fachlich, sondern auch kulturell zum Unternehmen passen. Ein „Verkauf“ um jeden Preis – also das Besetzen einer Stelle mit einer Person, die nicht wirklich passt – mag kurzfristig Erfolg bringen, führt aber langfristig zu Problemen. Ein Quadrat in ein rundes Loch zu pressen, funktioniert weder im Vertrieb noch im Recruiting.
Was wir vom Vertrieb lernen können
Das bedeutet jedoch nicht, dass Recruiting und Vertrieb nichts voneinander lernen können. Im Gegenteil: Gerade in der Prozessoptimierung kann der Vertrieb ein Vorbild sein. Schnelligkeit, klare Strukturen und die Nutzung von KPIs sind Aspekte, die auch im Recruiting an Bedeutung gewinnen. Zu oft sehe ich Recruitingprozesse, die unnötig kompliziert sind – sei es in mittelständischen Unternehmen, wo es an klaren Abläufen fehlt, oder in großen Organisationen, wo die Prozesse durch Bürokratie ausgebremst werden. Hier kann der Blick auf den Vertrieb helfen, effizienter und zielgerichteter zu agieren.
Recruiting ist Kunst und Handwerk zugleich
Trotz aller Parallelen bleibt Recruiting eine eigenständige Disziplin, die sich nicht auf die Mechanismen des Vertriebs reduzieren lässt. Es ist gleichermaßen Kunst und Handwerk und erfordert Fingerspitzengefühl, Menschenkenntnis und strategisches Denken. Guter Vertrieb ist ebenfalls eine Kunst – und genau hier liegt die Gemeinsamkeit. Beide Disziplinen erfordern ein hohes Maß an Professionalität und Engagement, um erfolgreich zu sein.
Wenn also das nächste Mal jemand behauptet, Recruiting sei „eigentlich auch nur Vertrieb“, lohnt es sich, diesen Vergleich kurz zu hinterfragen. Denn Recruiting ist mehr als nur Verkaufen – es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, die Menschen und Unternehmen zusammenbringt und dabei weit über die Logik des Marktes hinausgeht.
Und wenn Sie dennoch einen Vergleich suchen: Vielleicht ist Recruiting weniger ein Verkaufsgespräch und mehr ein Dialog, der auf Vertrauen, Respekt und gemeinsamen Zielen basiert. Ein Dialog, der nicht nur kurzfristige Erfolge, sondern nachhaltige Beziehungen schafft.